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Schlaglichter auf die Entwicklung des Gammertinger Marktplatzes - auf dieser Seite sehen Sie drei Gemälde des Renninger Künstlers Roland Gäfgen, die den Gammertinger Marktplatz um 1300, im frühen 17. und im späten 18. Jahrhundert zeigen.

Diese Bilder und die zugehörigen Texte wurden erstmals auf der Ausstellung „Als Gammertingen marktreif wurde“ im Oktober 2019 im Städtischen Museum „Im Alten Oberamt“ präsentiert. Sie gehen auf die noch unpublizierte Auswertung der Schlossplatz-Grabungen aus 2012/2013 durch Dr. Sören Frommer zurück. Die Auswertung erlaubt – in Zusammenhang mit den Erkenntnissen zu St. Michael sowie einzelnen kleineren „archäologischen Fenstern“ in der Stadt einen ganz neuen Blick auf die Entwicklung der Stadttopografie und mittelbar auch auf die Stadtgeschichte.

Inzwischen sind die Ergebnisse der Frommerschen Auswertungen in Zusammenarbeit mit dem Tübinger Historiker Joachim Jehn in laienverständlicher Form aufgearbeitet worden und erscheinen Ende 2024 unter dem Titel „Vnser Schloß und statt Gammertingen“ als neue „archäologisch-historische Stadtgeschichte“ Gammertingens. Für diese neuen Stadtgeschichte fertigte Gäfgen vier weitere aquarellierte Zeichnungen an.


Marktplatz der Stadtgründungszeit

"Frühester Marktplatz"

Schon etwa um das Jahr 1000 existierte auf der ehemaligen Lauchertinsel eine frühstädtische Siedlung zur Niederungsburg der älteren Grafen von Gammertingen bei St. Michael. Sie wurde wahrscheinlich bereits vor 1083 unter den Grafen Arnold und Ulrich I. mit einer Ringmauer umgeben, Massivbau und Ziegeldeckung hielten Einzug. Wohl im Umfeld der Tübinger Fehde 1164/66 – und in zeitlichem Zusammenhang mit dem Aussterben der Grafen – wurde die Frühstadt Gammertingen weitestgehend zerstört. Die Ruinen blieben gleichwohl bewohnt, Holzhäuser wurden wiederaufgebaut, nach Südwesten wurden sogar die Grenzen der ehemaligen Befestigung überschritten. Zu einer städtischen Weiterentwicklung kam es indes zunächst nicht, was in erster Linie mit der sich nach dem Aussterben der Grafen von Gammertingen entwickelnden Rechtevielfalt zu erklären sein dürfte. Die verworrene Lage klärte sich erst nach dem 1285 ausgebrochenen Reichskrieg gegen Württemberg. Besonders für die mit Württemberg verbündeten Grafen von Veringen endete der Krieg mit einer vernichtenden Niederlage. 1291 wurde der Konflikt beigelegt, die Veringer mussten ihre Grafschaft sowie ihre Stammlande abgeben, erhielten dafür aber die uneingeschränkte Herrschaft über Gammertingen zugesprochen, wo sie in den Jahren um 1300 eine Stadt errichteten. Wohl in diesem Zusammenhang ist der 1299 aktenkundige Streit über einen „Weiher zu Gammertingen“ zu verstehen, den Graf Heinrich v. Neuveringen auf Wiesen und Äckern angelegt hatte, die dem Kloster Mariaberg zinsbar waren: Hierbei dürfte es sich um den nordwestlich von St. Michael wasserführenden neuen Stadtgraben handeln. Die Stadt wurde direkt neben dem älteren Siedlungskern gegründet und band diesen ein. Links am neuen Marktplatz stehen die Häuser der älteren frühstädtischen Siedlung. Im Hintergrund ist noch ein Rest der ruinierten Umfassungsmauer zu sehen. Zwischen den Häusern mündet die alte Hauptstraße (heute August-Reiser-Straße) aus der Richtung des ehemaligen gräflich-gammertingischen „Schlosses“ auf den entstehenden Marktplatz, macht dort einen Bogen und quert die Lauchert auf einer Holzbrücke in Richtung Dorf. Rechts gegenüber den alten Häusern stehen die ersten Gebäude der entstehenden Stadt: allen voran ein wohl der Stadt- und Marktverwaltung zuzuordnender Massivbau, hinter dem sich die Stadt Richtung „Breite“ fortsetzte. Von Beginn an als mehrteiliger Baukomplex geplant, schließen Richtung Fluss Zungenmauern an das Rathaus an, an die später angebaut werden sollte. Doch wird dieser Platz zunächst noch durch ein Provisorium eingenommen: einen in Pfostenbauweise errichteten Gasthof, der sich noch an der alten Holzbrücke orientiert, deren Tage jedoch schon gezählt sind. Links von ihr ist bereits eine Steinbrücke in Bau, von der aus man den neuen Marktplatz in gerader Linie betreten konnte. Der „neue Marktplatz“ ist - anders als die nach Gauselfingen führende alte Hauptstraße - nach Südwesten auf Neufra hin ausgerichtet. Schon nach wenigen Jahren kam der Stadtgründungsprozess wieder zum Erliegen, was sich am Fortbestand des provisorischen Gasthofs wohl bis um 1330 aufzeigen lässt. Ein Grund kann in der mit Regierungsantritt Graf Wolfrads 1308 abzeichnenden wirtschaftlichen Not der Veringer bestehen. Als diese sich in den 1310ern durch Wolfrads Eintritt ins habsburgische Dienste beheben ließ, bekam die junge Stadt durch den Wiedererwerb von Veringenstadt starke Konkurrenz. Erst um 1330 – in diesem Jahr wurde auch die ruinierte Michaelskapelle im damaligen Schlossbezirk wiederaufgebaut – scheint der Stadtgründungsprozess tatkräftig wiederaufgenommen worden zu sein.

Interaktiver Stadtplan

Bau des Speth’schen Stadtschlosses

„Nach dem großen Brand“

Um das Jahr 1410 ereignete sich ein verheerender Stadtbrand in Gammertingen, dem große Teile der Stadt zum Opfer fielen. Danach war nichts mehr wie zuvor. Die Bebauung im Bereich der späteren herrschaftlichen Gärten wurde aufgegeben, dafür wurde die Stadt zum Fluss hin um die Häuserzeile jenseits der damals angelegten Schwedengasse erweitert – hier stehen die Häuser auf spätmittelalterlichem Brandschutt! Im Nordosten und Südosten wurde die Stadtmauer neu errichtet. Die Veränderung des Stadtgrundrisses bewirkte, dass in der Ostecke der Stadt neuer Platz entstand – ein Platz, der für den Bau des repräsentativen Stadtschlosses der Rechberger genutzt wurde, die seit dem Aussterben der Grafen von Veringen Herren über Gammertingen waren. Auch wenn das Schloss um 1620 nicht mehr stand, lässt sich am Bild die Struktur der in der 1. Hälfte des 15. Jh. wiederaufgebauten Stadt noch gut nachvollziehen. Der Hauptbau des Rechberger Stadtschlosses stand diagonal zwischen dem in Gammertingen heute noch lagemäßig bekannten „Alten Rathaus“ am Unteren Tor und der herrschaftlichen Zehntscheuer am rechten Stadtrand. Gegenüber dem im Bild sichtbaren Speth’schen Schlossbezirk des frühen 17. Jh. war der Rechberger Schlossbezirk noch etwas weiter ins Stadtzentrum eingerückt. Der Marktplatz – für den König Siegmund 1418 das erste bekannte Gammertinger Marktprivileg gewährte – war ursprünglich ein großer Dreiecksmarkt, der im Osten vom Schloss, im Nordosten vom Rathaus, im Südosten von der Zehntscheuer und nach Nord- und Südwesten von traufständigen Bürgerhäusern eingefasst wurde. Deren prächtigstes war seit dem späten 15. Jh. das spätere Wirtshaus „Zum Ochsen“ am Ausgang der Hauptstraße Richtung Oberes Tor. 1492 wurde mit dem „Lohmüllerhaus" ein wohl als offene Markthalle zu rekonstruierender Solitärbau auf dem Marktplatz errichtet. In den Urbaren des 16. Jh. ist er Teil der „Gass", also des öffentlichen Straßenraums. Nach dem Ende der Bubenhofischen Stadtherrschaft gegen 1520 erlebte Gammertingen politisch schwere Zeiten; bei ihrer Rückkehr 1557 fanden die zunächst nur in Hettingen residierenden Speth chaotische Verhältnisse vor. Wieder beginnt der Neuaufbau 1559 mit einem Marktprivileg. Möglicherweise war kurz zuvor der Hauptbau des Rechberger Stadtschlosses niedergelegt worden. 1568 erwarben die Speth mit den zwischen Unterem Tor und Badhaus (im Bild: hinter dem Rathaus) gelegenen „Wilhelmischen Gütern" einen provisorischen Stadtsitz. Von hier aus betrieb Dorothea von Rechberg, die Witwe des 1582 verstorbenen Philipp Dietrich Speth, sowohl die Wiedererrichtung der ruinierten Michaelskapelle (Bauabschluss 1589) als auch den Bau des ersten Speth’schen Stadtschlosses im verkleinerten Schlossbezirk.  Ursprungsbau des „Schlosses unter den Linden“, wie es später genannt wird, ist ein dreistöckiger Wohn- und Repräsentationsbau mit „Beletage“ im zweiten Stock, wo sich zum Fluss hin die große Tafelstube befand. Diese öffnete sich zum Schlosshof hin in einer Laube, von wo der Junker zu seinen Untertanen sprechen konnte. Baueinheitlich mit dem Schloss errichtete man ein versetzt parallel stehendes Wirtschaftsgebäude mit Halle im Erdgeschoss und Fruchtlager im Dachgeschoss, den baulichen Vorgänger des immer noch „Fruchtkasten“ genannten Schlossflügels, der bis 1972 das Gammertinger Stadtbild prägte. Als Caspar Berhard Speth 1599 die Gammertinger Residenz bezog, sorgte er unmittelbar für deren weiteren Ausbau. So ließ er 1599/1600 den sogenannten „Neuen Bau“ errichten, ein kleineres, sich auf die Hofmauer beim Unteren Tor stütztendes Schlossgebäude, in dem auch die bislang fehlende Schlosskapelle untergebracht wurde. In der Ecke der Stadtmauer fand sich mit dem 1664 abgebrochenen „Schneggen“, wohl einem Turm, ein weiteres Gebäude im Schlossbezirk, das vermutlich schon auf die frühe Rechberger Zeit zurückging: Die Speth’schen Neubauten des späteren 16. Jahrhunderts nehmen auf seine Position Rücksicht.

Interaktiver Stadtplan

Gammertingen an einem Wendepunkt

„Der barocke Dreiecks–Markt“

Die Illustration zeigt den Blick von der Gegenseite auf die Stadt, das Dorf Gammertingen liegt am linken Flussufer. Das 17./18. Jahrhundert brachte große Veränderungen, vor allem bedingt durch das wachsende Repräsentationsstreben der absolutistischen Stadtherrschaft, begrenzt nur durch dauerhaft mangelnde Geldmittel. Dass deswegen in großem Umfang auf Fronleistungen zurückgegriffen wurde, bewirkte für viele Jahrzehnte zum Teil dramatische Auseinandersetzungen zwischen Stadtherrn und Bürgerschaft. Gegenstand des Streits waren unter anderem die umfangreichen Baumaßnahmen an den herrschaftlichen Gärten außerhalb der alten Stadtmauer, für die der Stadtgraben nach außen verlegt werden musste, bevor er pittoresk mit Lauchertwasser geflutet wurde. Erst 1712 konnte die Situation befriedet werden und in Gestalt eines Trochtelfinger Kaufmanns namens Heinrich Clavell gelang der Durchbruch. Im Tausch gegen politischen Einfluss und soziale Stellung investierte Clavell enorm in seine neue Heimatstadt. Um den Preis des Abbruchs des spätmittelalterlichen Wohnviertels zwischen Zehntscheuer und Oberem Tor konnten die Speth die Modernisierung des Stadtbilds durchsetzen: In den 1720ern entstand ein langschmaler Dreiecksmarkt über die ganze Länge der Stadt, gekrönt vom in Barockformen erstrahlenden Clavellschen Hofgut am Oberen Tor. 1725 feierte man im „Ochsen“ – dem mittelalterlichen Bürgerhaus, dessen Prachtgiebel nun tatsächlich auf einen Markplatz schaute – das neuerliche Marktprivileg, mit dem Gammertingen ein weiterer Jahrmarkt genehmigt wurde. Die Speth konnten mit dem Clavellschen Tempo gleichwohl nicht mithalten, was vor allem dynastische Ursachen hatte. Ludwig Friedrich Speth, der Initiator der Modernisierung der Stadt, starb 1725 überraschend, sein Sohn Marquard Rudolph Anton regierte nur von 1732 bis 1740 und hinterließ dabei einen einjährigen Sohn. Zu diesem Zeitpunkt stand gerade einmal der Südostflügel des geplanten zweiflügligen Barockschlosses. Ab 1765 herrschte Marquard Carl Anton Speth. Um den Bau des Lauchert-Schlossflügels realisieren zu können, baute er 1769 das Amtshaus am Tor (rechts davon) zum „Schlössle“ aus, in welches während der Bauzeit die Schlossverwaltung ausgelagert wurde. Kurz vor Baubeginn lernte er jedoch den Straßburger Stararchitekten Pierre Michel d’Ixnard kennen – und gemeinsam schmiedeten sie deutlich größere Pläne. Statt eines stilistisch zum „Fruchtkasten“ passenden Lauchertflügels wurde 1776 ein höherer und breiterer Schlossbau errichtet, der baulich über den älteren „Fruchtkasten“ gestülpt wurde. Das Schloss, das heutige Gammertinger Rathaus, war nur der Wohnbau der Familie - Verwaltung, Repräsentation sowie die Schlosskapelle sollten in einem Zwillingsbau realisiert werden, der jenseits eines prächtigen klassizistischen Torbaus bis zum mittelalterlichen Badhaus (ganz rechts vorne) gereicht hätte. Der Plan ging schief. Im Jahre 1791 stand Speth jedoch kurz vor dem Durchbruch. Er hatte die Stadt erfolgreich genötigt, das alte Rathaus gegen das spätere Gasthaus zur „Sonne“ (das letzte zur Hauptstraße giebelständige Haus rechts vor dem Oberen Tor) zu tauschen. Im Bild ist der Abbruch des spätmittelalterlichen Gebäudes zu sehen. Besitzrechtlich stand dem geplanten Schlossbau zu lediglich das rechts anschließende Winkelhakengehöft im Weg. Im selben Jahr kündigte der Baron den Neubau des Unteren Tors an, das der Herrschaft gehörte. Marquard Carl Antons hochfliegende Pläne zum Umbau Gammertingens in eine klassizistische Modellstadt (außer dem Schloss hatte Speth den Neubau von St. Leodegar, ein Kaplaneihaus, schließlich auch beide Stadttore im Visier) sollten schließlich Stückwerk bleiben. Architekt d’Ixnard starb 1795 zurückgezogen im Elsass, 1796 wurde Gammertingen in die Koalitionskriege hineingezogen, welche Speth bis zu seinem Tod 1801 in Anspruch nahmen. Um 1810 wurden die Stadttore abgebrochen, der Marktplatz öffnet sich seither optisch nach beiden Seiten.

Interaktiver Stadtplan
Gammertingen


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